Als Schifferstadt zum Königreich Bayern gehörte

 
Vortrag von Oberarchivrat Dr. Paul Warmbrunn beim Verein für Heimatpflege

Als eine Epoche, die fast 130 Jahre andauerte, Schifferstadt nachhaltig verändern sollte und bis heute ihre Spuren hinterlassen hat, bezeichnete Dr. Paul Warmbrunn die Zugehörigkeit der Pfalz zum Königreich Bayern (1816 bis – de facto – 1945). Im Zuge der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress hatte Bayern 1815 als Ersatz für Salzburg, das Inn- und Hausruckviertel, die linksrheinische Pfalz erhalten, ein Territorial von 5.928 Quadratkilometern, das damals 430.000 Einwohner zählte. Verwaltungsmittelpunkt der Pfalz wurde Speyer, wo die Regierung ihren Sitz hatte. Erster Regierungspräsident (nach dem damaligen Sprachgebrauch „Generalkommissär“) wurde Franz Xaver Zwackh zu Holzhausen (1756 – 1843). Zwar hätten die Pfälzer es durchaus begrüßt, nach den langen Jahren der Zugehörigkeit zu Frankreich wieder ein Teil Deutschlands zu sein, jedoch bangte man um den Fortbestand der so genannten „rheinischen Institutionen“, der Gesetzgebung und Einrichtungen wie Geschworenengerichte, öffentliche Gerichtsverhandlungen und Weitergeltung des Code Civil. Auf Anregung Zwackhs entschloss sich die bayerische Regierung am 16. Juni 1816, die Pfalz bei ihren Institutionen zu belassen und die gesamte dortige Beamtenschaft aus der französischen Zeit zu übernehmen. „Der Erhalt der rheinischen Institutionen förderte ein starkes Freiheitsgefühl und Selbstbewusstsein, die Pfalz wurde zum Sammelbecken radikaler, liberaler und demokratischer Gedanken“, klärte Dr. Warmbrunn die 35 Zuhörer auf. Im Zusammenhang mit dem Hambacher Fest am 27. Mai 1932 hatte man auch vier Schifferstadter Ackersleute (Conrad Isselhard, Michael Stahl, Philipp Bernatz I. und Joseph Koch) beschuldigt, den langjährigen Bürgermeister und Wirt Franz Jacobus (1817 – 1848) beleidigt und bedroht und einen Volksauflauf verursacht zu haben. Der von den Veranstaltern des Hambacher Festes erhoffte Wandel in Deutschland trat jedoch nicht ein, Bayern entsandte ein großes Truppenkontingent von 8.000 Mann in die Pfalz, um den Rheinkreis zu disziplinieren und gegen die Hauptbeteiligten wurde im Landauer Assisenprozess von 1833 gerichtliche vorgegangen, mit der Folge, dass viele Protagonisten der Veranstaltung die Emigration wählten.
Eine enorme Steigerung seiner wirtschaftlichen Bedeutung erfuhr Schifferstadt durch den Bau der ersten Eisenbahnlinie in der Pfalz, nach König Ludwig I. „Ludwigsbahn“ benannt. Im Gegensatz zum rechtsrheinischen Bayern, wo der Bahnbau per Gesetz 1843 Staatssache wurde, blieb er in der Pfalz bis ins 20. Jahrhundert hinein Privatangelegenheit. Nachdem sich die Streckenführung von Neustadt über Schifferstadt zur Rheinschanze mit Stichbahn von Schifferstadt nach Speyer durchgesetzt hatte, avancierte das Bauerndorf zum ersten Verkehrsknotenpunkt der Pfalz mit gravierenden Folgen für die wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung. Im Frühjahr 1845 wurde unter der Oberleitung des Kreisbaurats Paul Camille von Denis mit dem Bau begonnen, bereits im Juni 1847 wurde der Streckenabschnitt zwischen Neustadt und Ludwigshafen sowie zwischen Speyer und Schifferstadt eröffnet, im August 1849 war die pfälzische Ludwigsbahn in ihrer ganzen Länge vollendet. Der neue Bahnknotenpunkt ermöglichte einen schnelleren und umfangreicheren Transport der Agrarerzeugnisse der Gemüseregion um Schifferstadt und zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren von 1077 Haushaltsvorständen der Rettichstadt nicht weniger als 315 in Bahnberufen tätig.
Das Bestreben um die Durchsetzung der Reichsverfassung in der Pfalz brachte Unruhen mit sich, die mit der Besetzung der Pfalz durch – von den Bayern zu Hilfe gerufenen – preußischen Truppen 1849 beendet wurden. In der Zeit nach der Reichsgründung erfuhr Schifferstadt einen durchgreifenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Wandel, 1933 war die Gemeinde mit 10.100 Einwohnern die neuntgrößte Siedlung der Pfalz. Nach dem 1. Weltkrieg war die Pfalz bis 1930 französisch besetzt, wirtschaftliche Not führte 1923 zu einer Wiederbelebung autonomistischer und separatistischer Tendenzen. Zentrale Figur war der Schifferstadter Georg May (1886-1937). Die Weltwirtschaftskrise begünstigte den Aufstieg der Nationalsozialisten, der in die Katastrophe des 2. Weltkrieges führte. Mit der Kapitulation 1945 endete auch die bayerische Zeit der Pfalz, die zwar von vielen Rückschlägen und Negativentwicklungen geprägt war, in der jedoch auch die Entwicklung Schifferstadts zu einer modernen, expandierenden Gemeinde eingeleitet wurde.
 

Monika Schleicher, Schifferstadter Tagblatt
 

 

Oberarchivrat Dr. Paul Warmbrunn

 

 

Die Pfalz um 1900, Quelle: Allgemeiner Handatlas, Kameradschaft, Berlin 1900